Montag, 4. August 2014


Meine Tage

 
















Ich lerne- ich lerne unter Anderem mein Handy ständig bei mir zu tragen. Wovor ich mich in heimatlichen Gefilden immer gedrückt habe ist eingetreten. Das liegt daran, dass Mustafa tatsächlich jedes Mal einen riesigen Schreck bekommt wenn Jemand nicht ans Telefon geht; generell stößt ein lockerer Umgang mit diesem Medium auf enormes Unverständnis. Im Hühnerstall hatte ich es bisher nicht dabei; da das aber zu einem kleinen Aufstand geführt hat, beschloss ich es heute mitzunehmen. Jetzt hat sich das Problem gelöst, denn es ist mir in den ersten zwei Minuten in den Wassereimer gefallen und funktioniert nicht mehr. Momentan trocknet es in der Sonne- und ich bin unerreichbar.
Eine der vielen Katzen hier ist ziemlich krank. Mustapha hat mir erklärt, dass das daher kommt, dass die Katzen hier jagen weil sie nicht wirklich gefüttert werden. Allerdings gibt es auch nicht wirklich viel zu jagen und so fressen sie was es gibt: Schlangen. Wenn sie Pech haben verdrücken sie aber das Gift mit oder werden im Kampf gebissen woran sie in der Folge- je nach Menge des Giftes- sterben. Davor leider sie aber noch eine Weile. Genauso wie kranke Hühner die hier weder besonders gepflegt werden noch geschlachtet. Wobei das vielleicht ein Glück ist, da meine Anregung diesbezüglich letztes Mal zu einem Blutbad mit stumpfem Messer geführt hat.


Hühner

Meine Tage vergehen- jeden Morgen um 8:00 Uhr beginne ich meinen Tag im Hühnerstall: Wasser wird gewechselt, es wird gefüttert, die Brutkästen kontrolliert und die Küken versorgt. Je nachdem steht manches Mal noch das Putzen der Brutkästen, der Ultraschall der Eier die ausgebrütet werden oder andere Sonderaufgaben auf dem Plan. Jeden Abend um 18:00 dieselben Aufgaben, wobei wir danach meist auf die Felder gehen um mit der Sichel frische Kräuter zu schneiden- damit die Hühner ein bisschen Vitamine bekommen. Seit einiger Zeit herrscht im Hühnerstall das große Problem der Parasiten, bzw. des Flohbefalls. Trotz medikamentöser Bekämpfung ließ sich das bisher nicht lösen, da man den Stall so wie er konzipiert ist unmöglich Grundreinigen kann und der Boden ein optimaler Überlebensfloh der Schmarotzer ist. Das fällt vor allem deshalb unangenehm auf, da man jedes mal nach Verlassen des Hühnerstalls feststellen muss dass man selbst die Parasiten auch spazieren trägt. Auch wenn sie für Menschen grundsätzlich keine Wirte sind so krabbelt es dennoch recht unangenehm. Außerdem sehen die Hühner dadurch extrem zerrupft und ungesund aus. Eine Lösung müsste her- aber in diesem Fall bedeutet das- sagt zumindest Mustafa- dass man den Stall betoniert. Das ist zwar ziemlich teuer aber aus hygienischen Gründen nahezu unerlässlich bei der Anzahl an Hühnern die Mustapha hat (ca. 200) und vor allem haben will (~1000). Das ist- neben einem Handbuch über Hühnerzucht angepasst an die hiesigen Verhältnisse (was meine Aufgabe ist)- das nächste große Projekt.


Bepflanzung

Neben den Arbeiten im Hühnerstall und den theoretischen Recherchen zu Hühnerzucht, bzw. dem Schreiben am Handbuch, was für mich auch noch alles neue Materie ist, sind die täglichen Themen, neben Öffentlichkeitsarbeit und Kontaktpflege für die Association (was hier ziemlich viel Raum einnimmt) mit Beforstung bzw. Bepflanzung der Gegend, Bewässerung und dem Etablieren von Solarenergie hier im Dorf geprägt. Konkret ist für uns da aber momentan wenig zu machen: Die Bäume werden von uns mit Magnesium- und Zinkpulver versorgt, da hier ein enormer Mineralmangel herrscht und sonst warten wir auf Bewilligung von Geldern um weitere Bäume pflanzen zu können. Noch werden die Bäume größtenteils mit dem traditionellem System bewässert, d.h. es werden unglaubliche Mengen Wasser durch die anlagen geleitet und durch künstlich gebaute Dämme entstehen so kleine Flussläufe die morgens Wasser führen. Das ist allerdings unter ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten relativ katastrophal, da viel Wasser an Stellen versickert wo es nicht gebraucht wird und die Verdunstung unglaublich groß ist. Bei neuen Projekten wird daher ‚goût- à- goût’ etabliert. Ein System bei dem Leitungen verlegt werden und jede Pflanze einzeln bewässert wird. Zum Glück hat Marokko einen unglaublich großen unterirdischen Wasserspeicher der schon seit Jahren die Bevölkerung speist und der Grund ist, warum noch nicht alles Leben hier verschwunden ist. Denn es regnet seit den letzten zehn Jahren durchschnittlich zweimal im Jahr. Die Bäume die Mustapha pflanzt sind hauptsächlich Johannesbrotbaum, Granatapfelbaum und Kakteen. Alle drei haben auch sehr schmackhafte Früchte; momentan wird ausgetestet wie gut Quitte, Zitrone und Apfel hier gedeiht- mit einigem Erfolg, wenn man vom Mineralmangel absieht der die Blätter welk wirken, und die Früchte klein ausfallen lässt.

Müll

Als ich mich in der ersten Woche zweimal heimlich frühmorgens aufmache um verbotenerweise allein einen kurzen Spaziergang zu machen wird mir, durch die Schluchten die mit Müll gefüllt sind, bewusst wie groß das Müllproblem hier sein muss. Ich beschließe mit Mustapha darüber zu reden ob wir nicht diesbezüglich initiativ werden können, vor allem weil sich Oumifiss darauf beworben hat ein Positivbeispiel von Dorf zu werden. Er erklärt mir, dass sich das 2016 alles lösen wird, dass dann Mülltonnen ins Dorf gebracht werden und der Müll irgendwo anders gepresst werden wird und dann nach Casablanca verkauft. Er meint dass die Dinge dort recycelt werden. Bis dahin schmeißen die Menschen aus Mangel an Alternativen und aus dem Grund dass sie die eigene Verantwortung dafür ablehnen und auf dem Standpunkt beharren dass die Behörden eine Lösung finden müssen, ihren Müll einfach vor die Haustür—und es tut mir fast körperlich weh zu sehen wie die wunderschöne Wüste und die letzten grünen Pflanzen von Plastik erstickt werden. Schließlich kann ich Mustapha überreden wenigstens einen Tag zu machen, an dem das Dorf gemeinsam Müll in der Gegend aufsammelt, den wir anschließend nach Agadir fahren wo es Mülltonnen gibt und wo der Müll– hoffentlich- recycelt wird. Ich freue mich- auch wenn Mustapha meint die Sensibilisierung der Menschen nutze nichts, weil eben noch keine andere Lösung existiert. Er meint das ist ein Projekt für 2016, was ich etwas anders sehe und schade finde, aber vielleicht habe ich da noch einen zu idealistischen Blick auf die Dinge. Und ein Anfang ist gemacht…
Mustapha ist es momentan wichtiger den Kindern des Dorfes etwas mitzugeben. ER hat sieben PCs beschafft und möchte dass wir den Kindern des Dorfes neben dem Hühnerstall Französisch- und EDV- Unterricht geben. Das soll quasi eine Sommerschule sein; und die Idee ist sicher gut; ich bin mir aber nicht sicher ob wir dafür die Richtigen sind, da keiner von uns beiden arabisch spricht und die Kinder –außer Bonjour- kein Wort Französisch können. Also wird zumindest der EDV- Unterricht kompliziert werden. Heute Abend ist die erste Unterrichtseinheit- es bleibt spannend.


 Überirdisches Wasser














Ein wunderschöner Fluss fließt durch Oumifiss. Eines der wenigen Gewässer die im Süden Marokkos an der Erdoberfläche zu finden sind und natürlicherweise vorkommen. Er beherbergt Fische, Schildkröten, Schlangen. Er riecht gut und um ihn herum kann viel Grün gedeihen. Ein Junge steht am Fluss mit einer Angel die er sich mit einem Bambusstab gebaut hat. Er fängt einen Fisch und die Begeisterung ist groß. Als ich frage ob sie die Fische essen ist die antwort nein. Als ich weiterfrage warum nicht, ist die Antwort etwas komplexer. Das Abwasser aus den Haushalten hier wird in großen Becken gesammelt und wieder aufbereitet. Dennoch übersteigt es ab und an die Kapazitäten der Anlage und wenn das geschieht, dann werden zweimal im Jahr die Schleusen geöffnet und das Abwasser fließt dahin, wo es Wasser schon Wege gezeichnet hat: es landet in dem schönen Fluss mit den wilden Tieren und dem vielen Grün. Und der schöne Fluss fängt an zu stinken, man kann nicht darin baden, Müll treibt darin und die Fische kann man nur noch angeln- nicht essen. Mit den wenigen Wasserquellen die überirdisch noch existieren ist es leider dasselbe Trauerspiel; inklusive dem Meer.

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